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Alt 27.06.2019, 13:30
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Ausrufezeichen AW: Der DGT Centaur - Die Review

"Enten legen ihre Eier in Stille. Hühner gackern dabei wie verrückt. Was ist die Folge? Alle Welt isst Hühnereier.", sagte Henry Ford. Diesen Sinnspruch hatten offenkundig alle Schachcomputerhersteller der 1980er und 1990er Jahre vor Augen, als sie ihre Schöpfungen auf den Markt brachten.

Man informierte den potentiellen Kunden nicht nur, nein, man bombardierte ihn förmlich mit Fakten, über deren Wahrheitsgehalt anschließend trefflich gestritten wurde. Dies war jedoch nicht der einzige Weg, Kundenbindung zu schaffen. Einen nicht unerheblichen Teil trugen die Autoren der Programme bei, sie waren die wahren Gladiatoren, jeder mit eigenem Stil und Fans.

Letztendlich wusste jeder Käufer vor dem Kauf, was genau im Objekt der Begierde werkelt: CPU inkl. Takt, Programmgröße, Größe (und später oftmals Autor) der Eröffnungsbibliothek, Autor des Programmes und so weiter.

Auf der anderen Seite pflegte Ernest Hemingway zu sagen: "Man braucht zwei Jahre um sprechen zu lernen und fünfzig, um schweigen zu lernen."
Wenngleich die niederländische Firma DGT erst seit 1992 am Markt ist, scheint man sich beim Centaur an die Worte des Nobelpreisträgers erinnert zu haben, als es darin ging, eine Werbestrategie zu entwickeln.

Zum Centaur gibt es relativ wenige verlässliche und belastbare Informationen. Mit diesen wenigen Aussagen wollten Micha und ich uns einfach nicht zufrieden geben. Da ich es mit Albert Einstein halte, der oft und gerne sagte: "Ich habe keine besondere Begabung, sondern bin nur leidenschaftlich neugierig.", kommen wir nun zum nächsten Kapitel der großen DGT Centaur Review.


Kapitel 3: Die Technik

Ich muss zugeben, ich gehöre zu den Nerds, die stets und immer wissen wollten, wie etwas von innen aussieht und wie es funktioniert. Das fing schon in frühster Kindheit an und hat sich bis heute nicht geändert. Das gilt auch für meine Schachcomputer ... es gibt keinen, den ich nicht schon zerlegt habe.

Über den Centaur ist nur wenig bekannt. Und ich muss an dieser Stelle offen zugeben: Vieles wird auch unbekannt bleiben, mehr, als ich es mir erhofft hätte. Ich könnte Spekulationen aufstellen, aber um ein bekanntes Filmzitat zu verwenden: "Wir wollen nicht glauben, sondern wissen."

In diesem Fall ist das nicht ganz einfach. Mehrere Anfragen beim Hersteller sind bis heute unbeantwortet geblieben, wobei der CEO von DGT, Hans Pees, mir schrieb, dass man die meisten meiner Fragen demnächst allgemein in Form von FAQ auf der Seite von DGT veröffentlichen werden. Sollte dies der Fall sein, werde ich dieses Kapitel um die entsprechenden Aussagen ergänzen.

Was ist also bekannt? Kommen wir zunächst zum Brett. Der Centaur hat ein Sensorbrett, das ohne Drucksensoren arbeitet. Es gibt keine Figurenerkennung wie bei den bekannten elektronischen Schachbretten aus dem gleichen Haus oder dem Millennium Exclusive Brett. Welche Technik zur Erkennung genutzt wird, kann ich nicht sagen, da ich das Brett nicht zerstören will.

Wie ich bereits bereits früher erwähnte, kann man unter den Feldern eine quadratische Struktur erkennen, die der Erkennung der Figuren dient. Ich denke, man kann diese Struktur auf diesem Foto gut erkennen, wenn man nicht zu dicht am Monitor sitzt:

felder sensoren


Offenkundig handelt es sich nicht um Reedkontakte, die früher den Standard darstellten. Die Reedkontakte waren teilweise recht empfindlich gegen Stöße, haben jedoch den Vorteil, dass ich selbst heute problemlos Ersatz für sie bekomme. Somit kann ich heute sogar meinen Mephisto ESB II aus dem Jahr 1983 reparieren.

Nun, die hier verwendete Technik benötigt, im Gegensatz zu Brettern mit Reedkontakten, keine Magnete in den Figuren. Entgegen der Aussagen im Internet muss die Unterseite jedoch auch nicht zwingend aus Metall sein. Alles, was eine gewisse Leitfähigkeit hat, funktioniert. So reicht bei meinem Selbstversuch die Leitfähigkeit meines Fingers aus, um eine Figur zu emulieren. Aber auch mein Magnetschachspiel und Kühlschrankmagnete funktionieren ohne Fehl und Tadel.

Was ich nicht beantworten kann: Die Erkennungselektronik macht einen sehr soliden Eindruck und ich denke nicht, dass sie empfindlich ist. Trotzdem: Wie schaut es aus, wenn es außerhalb der Garantiezeit zu Ausfällen kommt? Im Gegensatz zu den guten alten Holzbrettern (oder dem Mephisto Modular) sehe ich hier keine Chancen zur Selbsthilfe. Aber die gleiche Kritik betrifft natürlich auch das Exclusivebrett von Millennium.

Per se funktioniert die Figurenerkennung sehr gut. Auch kann man die Figuren "schleifen", was bei Brettern mit den traditionellen Reedkontakten zwar mittels Softwareeingriff möglich wäre, aber bei keinem mir bekannten Schacomputer umgesetzt wurde.

Allerdings scheint genau diese Umsetzung inkl. der Möglichkeit des Schleifens genau für ein genanntes Problem verantwortlich zu sein: Wie ich im zweiten Kapitel schrieb, kommt es, wenn man eine Figur anhebt und nicht binnen fünf Sekunden absetzt, entweder zu einer Fehlermeldung oder aber, was deutlich schlimmer ist: Wenn es für die angehobene Figur exakt einen möglichen Schlagzug gibt, wird dieser automatisch ausgeführt und der Centaur berechnet den Gegenzug. Da hätte man meiner rein persönlichen Meinung nach noch nachbessern müssen.

Kommen wir zum Innenleben. Wie bereits bekannt ist, werkelt im Inneren des Centaur ein Raspberry Pi Zero, der mit 1 Ghz Taktfrequenz und 512 MB RAM ausgestattet ist.

An das Innenleben gelangt man recht einfach. Auf der Unterseite des Centaur befinden sich fünf Kreuzschlitzschrauben, zwei davon unter einem Siegel verborgen. In mehreren Sprachen warnt DGT ausdrücklich davor, das Siegel zu beschädigen, da in diesem Fall die Herstellergarantie erlischt.

aufkleber 2

Da Herstellergarantie grundsätzlich eine freiwillige Zusage an den Kunden ist, kann DGT diese durchaus einschränken. Insofern sollte man diese Warnung durchaus ernst nehmen. Anders könnte es ggf. mit der Gewährleistung aussehen, für die der Händler zuständig ist. Diese betrifft alle Mängel, von denen auszugehen ist, dass sie bereits zum Kaufzeitpunkt "im Keim veranlagt" waren, so im Juristendeutsch. Da hier aber die "Beweislastumkehr" nach sechs Monaten aufgehoben wird, muss man sich darüber im Klaren sein, dass es (vor allem nach sechs Monaten) zu Diskussionen kommen könnte, wenn die Siegel beschädigt sind.

Unser dringlicher Rat: Lasst das Gerät einfach verschlossen. Es gibt aktuell wirklich rein gar keinen Grund, es zu öffnen!

Wenn man sich nicht daran hält, hat man den freien Blick auf das kompletten Innenleben. Da wäre zunächst einmal der Akku:

akku

Er ist nicht verklebt und kann, wie man sieht, relativ leicht getauscht werden (abgesehen davon, dass auch hierzu das Siegel natürlich beschädigt werden muss). Einerseits ist er mit 2.600 mAh nicht übermäßig üppig ... auf der anderen Seite hält der Centaur trotzdem wacker durch ... realistisch, wenn man spielt und auch den Analysemodus nutzt, sind 15 bis 18 Stunden möglich.

Das liegt einersets daran, dass der Centaur im normalen Spiel offenbar nicht pondert (Permanent Brain) und dass er jeweils pro Zug nur wenige Sekunden rechnet ... danach spart er seine Energie und wartet ab ... das Display verbraucht aufgrund seiner Technik keine Energie während der Anzeige, sondern lediglich bei der Aktualisierung ... darum auch das Logo im ausgeschalteten Zustand.

Einen Kritikpunkt möchte ich dennoch äußern. Ich finde es schade, dass DGT sich dazu entschlossen hat, nicht den gleichen Akkutyp wie beim DGT Brett zu verwenden. Ich weiß, dass dieser Kritikpunkt nicht von allen geteilt wird, dennoch hätte ich erwartet bzw. mir gewünscht, dass DGT eine einheitliche Lösung umsetzt.

Kommen wir nun zur restlichen Elektronik. Zunächst hätten wir da die Hauptplatine sowie das Display:

tastatur mit display

mainboard totale


Alles ist sauber verarbeitet und macht einen hochwertigen Eindruck. Von den Mikroschaltern bis zur Platine, keinerlei Anlass zu irgendeiner Kritik. Hier hätte ich aber von DGT auch nichts anderes erwartet.


Dann kommen wir zu Herz und Hirn des Centaur, dem Raspberry Pi Zero:

pi

Gut zu erkennen, die SD Karte mit allen Inhalten auf der rechten Seite. Leider hat man sich bei DGT dazu entschlossen, dem Centaur jeglichen Kontakt zur Außenwelt zu verweigern. Ob das immer so geplant war? Keine Ahnung. Denn es finden sich Aussagen vom Februar 2018 im Internet, dass der Centaur in der finalen Form die Möglichkeit besitzen würde, mit dem PC verbunden zu werden. Da diese Aussagen von einem "Insider" stammen, liegt die Vermutung nahe, dass man entsprechende Pläne hatte. Sollte dies damals wirklich noch der Fall gewesen sein, so finde ich es sehr bedauerlich, dass man sie aufgegeben hat.

Warum? Nun, das hat viele Gründe. Mit einem Anschluss an den PC könnten Updates, Erweiterungen etc. pp. relativ leicht aufgespielt werden. Und dass es da Potential gibt, zeigen die aufgeführten Kritikpunkte: Keine Vergabe der Rochaderechte bei Stellungsaufbau, das "Fünf Sekunden Problem", die Problematik bei (Unter-) Verwandlungen.

Aber auch neue Funktionen und Anpassungen der Spielmodi wären so gut möglich. Leider hat man sich diesen Weg leichtfertig verbaut. Mehr dazu später im Kapitel "Fazit".

Selbstverständlich haben Micha und ich auch einen Blick auf die SD Karte geworfen. Allerdings müssen wir sagen, dass dieser Blick bis jetzt mehr Fragen als Antworten bei uns hinterlassen hat.

So befinden sich auf der Karte nicht weniger als 15 Bücher (eines davon "nobook" mit 0 Byte), deren Namen bei uns viel Spielraum für Spekulationen lassen ... es gibt Namen wie zum Beispiel "fun", "pro" aber auch "anand" ...

Dazu gibt es Stockfish Dateien, bei denen man maximal anhand des Dateidatums Rückschlüsse auf die Version schließen könnte. Wir vermuten, dass es sich nicht um SF 10 handelt, hoffen hier jedoch noch auf eine Antwort von DGT, die ich hier selbstverständlich sofort eintragen werde.

An dieser Stelle nun zur Auflösung meines Ratschlags aus dem ersten Kapitel:

 Zitat von Mythbuster Beitrag anzeigen
Schon an dieser Stelle sei verraten, dass wir absolut nicht dazu raten möchten, den Hinweis von DGT zu ignorieren ...
Es ist schlicht nutzlos. Es gibt zwar im Netz Hinweise und Anleitungen dazu, wie man theoretisch "auf die Software des Centaur" kommen soll ... dazu sei angemerkt: Keine der Anleitungen hat bei unserem Seriengerät funktioniert! Es ist sicherlich richtig zu behaupten, dass weder Micha noch ich Profis sind, was Linux und Konsorten betrifft ... aber es reichte, um für den DGT PI diverse Images für die Community zu basteln oder auch einfach mal einen Stockfish DD auf dem Pewatronik zu testen.

Aber am Centaur sind wir gescheitert. Es mag durchaus sein, dass die Wege, die im Internet beschrieben werden, bei den Vorseriengeräten funktionieren ... aber unser Seriengerät verweigert hatnäckig jegliche Kooperation.

Insofern, noch einmal der Rat: Wer darauf hofft, dass irgendwann aus dem Centaur ein zweiter DGT PI mit vielen Engines und Funktionen wird ... wartet, bis es so eine Version "Live und in Farbe" im Video zu bestaunen gibt! Ich weiß, mit diesem Rat werde ich (wieder) den Zorn meiner Kritiker beschwören, damit muss und kann ich leben.

Aber statt lauter Werbung und Versprechnungen nehmen sie sich ja vielleicht mal DGT selbst zum Beispiel, inkl. der Bescheidenheit, mit der man dort den Centaur korrekt und ehrlich bewirbt.

In diesem Sinne schließe ich diesen dritten Teil, wie ich ihn begonnen habe, mit einem Zitat, dieses Mal von Franz Grillparzer: "Willst du die Bescheidenheit des Bescheidenen prüfen, so forsche nicht, ob er Beifall verschmäht, sondern ob er den Tadel erträgt."

Gruß,
Sascha
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Geändert von Mythbuster (27.06.2019 um 23:40 Uhr)
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