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Alt 16.02.2016, 08:56
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Revelation
 
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AW: Botwinniks Schachcomputer

Da letzte Woche mal wieder das Thema Pionier aufkam:
Pionier dürfte nie irgendwelche Studien gelöst haben, wahrscheinlich gab es nie ein Programm. Botwinnik hat einiges zum Thema Trajektorien zusammen gestellt, wobei die Darstellung der möglichen Züge einer Figur auf einem Feld auf ein 15*15-Brett verallgemeinert werden. Die mathematische Schreibweise ist relativ elegant, leider für eine direkte Übertragung auf den Computer nicht effizient. Dort sind eindimensionale Felder und Bitfiddeleien wie z.B. bei der 0x88-Darstellung deutlich besser.

Pioneer war wohl der Versuch, großmeisterliches Denken in Algorithmen zu packen und das hat nie geklappt. Ich kenne keinen Großmeister, der sein Denken beschreiben kann. Fast immer kommt ein "das sieht gut aus" oder ähnlich intuitive Beschreibungen. Untersuchungen haben gezeigt, dass sehr gute Schachspieler ca. 50.000 Muster als "Wortschatz" ihres Schachverständnisses haben. Dieses Schachverständnis ist offenbar nicht leicht zu vermitteln, denn analysierende Großmeister setzen vieles voraus und unterhalten sich über einfachere Stellungsmerkmale innerhalb der Muster und den daraus erwachsenden Plänen.

Botwinniks Bücher bringen daher wenig konkretes, sicherlich viel Stoff zum Nachdenken und definitiv nicht von Pionier erstellte Such- und Lösungsbäume. So wurden die Bäume für bestimmte Stellungen im Laufe der Zeit immer breiter (warum, wenn doch schon zu Beginn die Lösung gefunden wurde?) um später aufgefallene Züge zu berücksichtigen. Die Bäume sind vielmehr so dargestellt, wie Botwinnik sie sich vorgestellt hat, wie sie hätten sein sollen.

Die Kritik (vor allem von Berliner, aber auch Bronstein) kam leider etwas spät, im Tonfall teilweise nicht hilfreich, so dass vor Botwinniks Tod keine Antwort mehr kam. Ich muss den "Enthüllungsartikel" in der CSS noch enimal genau nachlesen, aber dahingeschmiert ist er sicher nicht. Die inhaltlichen Vorwürfe waren schon Monate vorher im Usenet im Umlauf und nicht auf Friedels Mist gewachsen.
Interessant übrigens, dass Igor Botwinnik, Neffe und Nachlassverwalter des Exweltweisters, nie etwas zum Thema Pionier gesagt hat.

Wie im Strang schon von mir gesagt, ich habe großen Respekt vor dem Schachspieler Botwinnik, lehne aber den Betrug des Wissenschaftlers Botwinnik ab.
Ich kann nicht beurteilen, wie weit Botwinnik das Scheitern bei der Schachprogrammierung sich selbst eingestanden hat und wie weit eventuell Privilegien für sich, seine Verwandten und andere Projektmitarbeiter auf dem Spiel standen.
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