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Alt 02.07.2006, 13:24
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AW: mehr selektive rechentiefe oder brute force einstellen?

 Zitat von OliverWeh
hi,

bei meinem mephisto polgar kann ich die selektive rechentiefe einstellen von 0-8! dabei ändert sich ja vorallem die taktik und weitsicht des computers. dazu hätte ich paar fragen:

- wie genau ändert sich die taktik/weitsicht?
- wenn ich zb. das gerät auf 2 stelle, bedeutet das, daß das gerät nur die zwei besten varianten nimmt und durchrechnet? und wenn ich 7 einstelle, das gerät die 7 besten varianten durchrechnet und dementsprechend länger braucht (oder bei gegebener zeit nicht so weit rechnet)?
- in welche richtung (der zahlen) muss ich das gerät stellen, um mehr taktik oder mehr abwechslung zu bekommen?
- ich hab gelesen, daß man den polgar eher auf 4-5 stellen soll, aber es stand nicht dabei, was das dann am spiel ändert bzw. das gerät besser macht...
- wer kann mir sonst noch tips/anmerkungen/infos zu diesem thema geben?

vielen dank und ein baldiges schönes weekend
Oliver
Hallo Oliver,

bei der Stellungsberechnung gibt es verschiedene Komponenten, die getrennt betrachtet werden können:

- der Brute-Force-Anteil. Hier werden alle möglichen Züge durchgerechnet, mit Ausnahme einiger Züge, die aus mathematischen Gründen ausgeschlossen werden können. Die hiermit erreichte Rechentiefe wird meist in den Berechnungen angegeben (wobei ich speziell beim Polgar und seinen Schwestermodellen den Verdacht habe, daß er etwas mehr als das anzeigt, also noch einen selektiven Anteil, s.u.). Da der Variantenbaum sehr schnell sehr groß wird,kommt man mit diesem Anteil allein nicht besonders tief.

- Schach-/Schlagzugerweiterungen. Die gehören eigentlich zum BruteForce-Anteil mit dazu. Man stelle sich vor, bei einer Berechnung bis zum 5. Halbzug wird genau im 5. Halbzug eine Figur getauscht. Dann würde das Programm das Zurücknehmen im 6. Halbzug nicht mehr erkennen und glauben, es würde eine Figur gewinnen! Deshalb werden bei Erreichen der Zielrechentiefe noch Schlag- und oft auch Schachvarianten gezielt weiterverfolgt, um die Stellung überhaupt bewerten zu können.

- Und zum Schluß, der "menschliche" Teil: die selektive Erweiterung! Hier wird der BruteForce-Sockel mit weiteren Zügen erweitert, von denen das Programm "glaubt", daß sie besonders gut sind. Hier kenne ich keine allgemeinen Regeln mehr, das macht wohl jeder Programmierer auf seine eigene Weise und verleiht dem Programm damit seinen Charakter. Weil man hier nicht alle Varianten berechnen muß, expandiert der Suchbaum nicht so schnell, und man erreicht Rechentiefen, die mit einer erschöpfenden Suche so leicht nicht machbar sind. Der Haken ist natürlich, daß das Programm hier auch eine taktische Wendung übersehen kann, eben weil es nicht erschöpfend sucht.

Auf den Polgar bezogen heißt das:
Bei einer geringen selektiven Suchtiefe (z.B. 1) ist der selektive Teil schnell abgearbeitet, und er kann schneller mit der Brute-Force-Iteration des nächsten Halbzugs anfangen. Er wird also wohl taktisch stärker und positionell blinder.
Bei einer hohen selektiven Suchtiefe (z.B. 8) wird der selektive Teil tiefer durchgerechnet, was dazu führt, daß weniger Zeit in den Brute-Force-Sockel investiert werden kann, d.h. es wird vermutlich (je nach Anzeige-Konvention) länger dauern, bis eine bestimmte Suchtiefe angezeigt wird. Dafür werden trotzdem tieferliegende Sachen gesehen, und es fragt sich nur, ob sie auch korrekt sind...

Es kann also sein, daß mit einer höheren Selektivitätseinstellung manche Probleme schon bei geringeren (angezeigten) Suchtiefen gelöst werden, weil sie von den selektiven Erweiterungen errechnet werden.

Die Faustregel ist also, daß eine niedrige Selektivität das Programm taktisch sicherer und positionell blinder macht, und eine höhere Selektivität genau das Gegenteil bewirkt.

Über die optimale Einstellung des Polgar habe ich schon viele Spekulationen gehört, aber meines Wissens gibt es keine statistisch verlässlichen Untersuchungen dazu. Wahrscheinlich spielt auch die Spielstufe eine Rolle. Ich selbst hatte mal vor, bei 30min/Partie mal verschiedene Einstellungen über viele Partien zu testen, bin aber bislang nicht dazu gekommen. In Klingenberg / Erlenbach 2006 habe ich einfach mit Sel3 gespielt, und da hat der Polgar auch schön postitionell und manchmal richtig menschlich gespielt.

Ich hoffe, ich konnte ein wenig helfen!
Viele Grüße,
Dirk
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Eskimo (27.04.2016)