AW: Bei welchen Programmen wirkt sich Tuning am effektivsten aus ?
Hallo Uwe,
wie ich an anderer Stelle schon mal schrieb und wie Micha auch schon angedeutet hat, ist es nur schwer zu sagen, wie sich Tuning auf welches Programm auswirkt.
Es gab früher (vor ca. 25 Jahren) zwei Grundsätze:
1. Eine Verdopplung der Rechengeschwindigkeit bringt ca. 70 Elo Punkte.
2. Ein zusätzlicher Halbzug (bei Brute Force Programmen) bringt ca. 200 Elo Punkte.
Zu Punkt 1: Diese Faustformel wurde schnell relativiert und man sprach von 50 bis 70 Elo Punkten bei einer Verdoppelung der Geschwindigkeit. Bei vielen Programmen traf das in den 80ern auch zu. Natürlich dachte man schnell darüber nach, was eine Steigerung um den Faktor 1.000 oder mehr bringen würde ...
In der Zwischenzeit hat sich gezeigt, daß die Faustformel nicht allgemeingültig ist, bzw. sich die Steigerung nicht beliebig fortsetzen lässt.
Das kann man leicht nachvollziehbar erklären:
Viele Schachprogramme treffen ihre Entscheidungen aufgrund ihres Wissens. Natürlich spielt auch die Suche eine Rolle, aber die einprogrammierten Regeln bestimmen dennoch den Zug! Wenn also ein Programm sich "mit voller Absicht" für den falschen Zug entscheidet, so wird es das immer tun, egal, wie tief es rechnet.
Als Beispiel hierfür möchte ich den Mephisto III bzw. Glasgow anführen. Dieses Programm wähle ich, weil es bekannt ist, daß es seine Entscheidungen nach menschlichen Kriterien trifft, langsam ist und dennoch "vernünftig" spielt. Außerdem können wir das Programm auch ideal aus "Tuning Sicht" betrachten, Mess Emu und Revelation sei Dank.
Was stellen wir nun beim Glasgow fest? Die erste große Beschleunigung im Revelation auf 66 MHz (Faktor 6,5) bringt tatsächlich einen Zuwachs an Spielstärke. In diesem Fall 143 Elo Punkte ... es liegt also im Rahmen der Regel. Was passiert nun, wenn man den Revelation als Basis nimmt und die Geschwindigkeit noch einmal um den Faktor 16 steigert? Eigentlich sollte die Elo Zahl dann um weitere 200 Punkte zunehmen ... Das ist jedoch nicht der Fall. Wenn überhaupt, spielt so ein "Turbo Glasgow" maximal 50 Punkte besser. Hier zeigt sich deutlich, daß eine weitere Steigerung der Geschwindigkeit keinen Zuwachs mehr bringt. Der Glasgow spielt die gleichen falschen Züge, nur schneller!
Wenn ein Programm hingegen wenig wissen hat und seine Züge rein aufgrund von schnellen, tiefen Berechnungen findet, kann man in der Theorie davon ausgehen, daß es "länger" dauert, bis der tote Punkt im Tuning erreicht ist ... aber natürlich gilt auch hier: Das Programm bildet aufgrund von Kriterien seine Entscheidung ... und manchmal auch die falschen Entscheidungen ... da hilft dann auch kein Tuning mehr.
Einfache Beispiele hierfür: Wenn ein Programm keine Ahnung vom "Falsche Läufer Spiel" hat, wird es fast immer den falschen Zug spielen ... auf der anderen Seite: Wenn ein Programm die Regel kennt, spielt es immer richtig, dann ist das Tuning ebenfalls meist nutzlos ... außer es kann im Suchbaum zu einer Stellung gelangen, in der ihm das Wissen hilft und diese herbeizwingen.
Dank Mess Emu und Revelation konnte ich mittlerweile viele Programme "getunt" beobachten ... und bis jetzt habe ich keine Regel gefunden, welche Programme mehr profitieren: Die "dummen Rechner" oder die "intelligenten Spieler" ... es gibt in beiden Lagern Beispiele für beide Varianten.
Offenbar ist es so, daß manche Programme schon ziemlich am möglichen Optimum sind, auch ohne Tuning ... und andere Programme durchaus mit besserer Hardware mehr Leistung bringen.
Es gibt eine Ausnahme. Und damit kommen wir zu Punkt 2: Dies gilt für reine Brute Force Brüter, wie die damaligen Weltmeister (Belle und Co) ...
Hier gilt in der Tat: Ein zusätzlicher Halbzug bringt 200 Punkte ... und die Steigerung der Rechengeschwindigkeit um Faktor 5 bringt diesen Halbzug ...
Zumindest gilt das bis zu einer Spielstärkte von ca. 2500 Punkten ... warum nur bis hier?
Die reinen Brute Force Monster sind taktisch in ihrem Bereich und ihrer Rechentiefe nicht zu schlagen ... dennoch können sie nur bis zu einer bestimmten Tiefe rechnen ... einfach weil im BF Suchverfahren die Zugzahl extrem ansteigt. Menschliche Spitzenspieler, die in diesen Regionen spielen, planen in aller Regel sehr langfristig, weit länger, als ein Brüter dies kann. Hier zählt Strategie und Intuition. Spitzenspieler sind in aller Regel in der Lage, ihre Stellung taktisch sicher zu halten. Somit kann ein Computer, der rein auf dieser Basis gerechnet hat, von Meisterspielern bezwungen werden ... die Kiste müsste schon extrem beschleunigt werden, um diesen Effekt zu egalisieren.
Gruß,
Sascha
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