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Alt 23.08.2010, 06:08
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Kommentiertes Themamatch zum Gibbins-Weidenhagen-Gambit

Willkommen zum Kommentierten Themamatch zum Gibbins-Weidenhagen-Gambit zwischen zwei Schachcomputern!


Wie hier:

https://www.schachcomputer.info/foru...ead.php?t=3618

vorab schon angekündigt wurde,werden jetzt 2 Partien, zwischen zwei zunächst anonymen Geräten (ca. 1900-2000 ELO), gespielt.Die Zugvorgabe des "GWG" lautet:

1. d4 Df6
2. g4!?

Das Gambit ist fast völlig unbekannt und sehr umstritten.Von einem Vorteil für Weiss, über ausgeglichen bis zum Vorteil für Schwarz,so verschieden sind die Meinungen darüber.

Für den 2. Zug mit Schwarz haben die Brettis einmalig 72 h Rechenzeit, danach jeweils 24 h / Zug.

Der Spielverlauf wird etwa 1 x in der Woche, vor dem Wochenende aktualisiert, und dann von einem oder zwei (falls noch ein zweiter gefunden wird!) Kommentatoren kurz kommentiert.
Im Moment, gehe ich jetzt von nur einem Kommentator aus.

Das Interessante ist dabei, weder der Kommentator, noch ich als Bediener, kennen den zukünftigen Fortgang der Partien.

Dies unterscheidet sich also von einem gewöhnlichen Kommentar zu einer Partie, der üblicherweise erst nach der Beendigung der Partie erstellt wird.

Ein gewisses Risiko, teilweise oder auch völlig daneben zu liegen, für den, der es beurteilt.
Zumal ihm auch noch die spielenden Geräte und ihre Spieleigenschaften nicht bekannt sind....

Wer der Kommentator ist, wird nicht verraten.Ich bekomme die Beiträge per PN und trage sie dann nach Erhalt hier ein.

Unabhängig davon, kann natürlich jeder seine Meinung/Kritik/Gedanken hier eintragen.Um eine rege Teilnahme wird sogar gebeten!


Für den Aufwand und den Einsatz des sehr fleissigen Kommentators möchte ich mich schon jetzt, ganz herzlich bedanken.

Und hier sind endlich die ersten Züge, der ersten Partie:

[Event "Themamatch GWG (24 h / Zug)"]
[Site "?"]
[Date "2010.08.14"]
[Round "1"]
[White "Gerät A"]
[Black "Gerät B"]
[Result "1/2-1/2"]
[ECO "A45"]
[Annotator "BlackPawn"]
[PlyCount "12"]

1. d4 Nf6 2. g4 {Ende der Zugvorgabe! Nicht im Buch von Gerät A und B.} Nxg4 {
nach 72 h Bedenkzeit !} 3. Nc3 e5 4. Nf3 exd4 5. Qxd4 d6 6. Bg5 f6 1/2-1/2




Und hier nun der erste, sehr umfassende Kommentar:

1. d4 Nf6 2. g4

{Ende der Zugvorgabe! Nicht im Buch von Gerät A und B. Der Zug 2. g4 erinnert natürlich

etwas an Grob's Angriff. Allerdings wird bei Grob's Angriff auf die Antwort Sf6 mit g5

geantwortet und es kommt nicht wirklich zu einem Gambitspiel (wenngleich dies natürlich -

vor allem bei abgelehntem Gambit - auch möglich ist)}

2. ...Nxg4 {nach 72 h Bedenkzeit !

Sieht man sich die von Meistern getätigten Kommentare im Thread an, so besteht einhellig

Konsens darüber dass dieses Gambit nicht wirklich korrekt sein kann. Einige gestehen ihm

einen gewissen Überraschungseffekt bei Blitz- und Aktivschachpartien zu. GM Bent Larsen

spricht dem Weissen nach 3. e4 einen gewissen Vorsprung zu, jedoch ist mir nicht bekannt

dass er diese Eröffnung jemals selbst mit Weiss gespielt hat, jedenfalls nicht in

ernsthaften Partien. Natürlich ist klar: Will man die Inkorrektheit eines Bauernopfers

beweisen muss man es erstmal annehmen und schauen was passiert.

Die Grundidee ist natürlich, wie in vielen Gambits, durch beschleunigte Entwicklung Vorteil

zu erreichen. 3. e4 würde erstmal den Springer angreifen und gleichzeitig seine Ansprüche im

Zentrum geltend machen. Aber reicht das? 3. ...d6 4. Le2 Sf6 5. Sc3 Sc6 6. Sf3 Lg4 und es

ist nicht wirklich zu sehen wo Weiss besondere Angriffschancen oder Vorteile hat, wobei 4.

Le2 für mich eine mögliche Hauptvariante ist. Zwar ist für den Turm die offene g-Linie da,

die aber nur dann wirklich interessant ist, wenn Schwarz kurz rochiert. Jan Timmans

Einschätzung dass Weiss gute Chancen hat liegen wohl in seiner Partie gegen Tim Krabbe

(Amsterdam 1967) begründet, der diese Eröffnung oft und gerne angewendet hat. Die Partie

nahm folgenden Verlauf: 1 d4 Sf6 2 g4 Sxg4 3 e4 d6 4 Sc3 (die zweite mögliche Hauptvariante)

e5 5 Sf3 exd4 6 Dxd4 Sc6 7 Lb5 Ld7 8 Lxc6 Lxc6 9 Tg1 Df6 10 Dd3 Se5 11 Sxe5 Dxe5 12 Le3 Le7

13 0-0-0 Lf6 14 f4 De7 +- jedoch zeigt sich bei genauer Analyse mit einer starken Engine wie

Rybka - die an dieser Stelle allerdings zu weit führen würde - dass Timman hier sehr ungenau

gespielt hat. Allerdings ist eines klar. Erwischt man einen Gegner mit so einer Eröffnung

kalt am Turnierbrett so wird er erstmal Schwierigkeiten haben, das richtige Konzept zu

finden. Und genau das ist der Sinn einer solchen Eröffnungsstrategie. Ich würde sie daher

erstmal nicht von Grund auf verdammen wollen.}

Eine andere Idee anstelle von 3. e4 wäre 3. Lg2 was erstmal eine Figur entwickelt und Druck

auf der langen Diagonalen macht. Der Springer auf g4 kann dann später im Rahmen der

Entwicklung noch vertrieben werden.

3. Nc3

{Gerät A weicht hier bereits von den gängigeren Fortsetzungen ab. Positionell gesehen ist

gegen diesen Zug erstmal nichts zu sagen. Es wird ganz normal eine Figur entwickelt.

Allerdings passt dieser Zug nicht wirklich zur Gambitidee die ein weit aggressiveres

Vorgehen fordert, wobei 3. e4 durch Zentrumsbesetzung und gleichzeitigen Angriff auf den

Springer eher taktisch geprägt ist während z.B. 3. Lg2 eher auf der Idee basiert positionell

Vorteil zu erlangen indem man die schwarzen Kräfte erstmal soweit wie möglich bindet. Aber

der Gegner kommt ihm entgegen...}


e5 {Eine fragwürdige Idee. Auf 4. de5 Sxe5 hat Weiss zwar nicht viel erreicht, allerdings

ist die Folge 4. h3 exd4 5. Dxd4 Sf6 6. Sb5 nicht ungefährlich für Schwarz und wäre sicher

einer weiteren Betrachtung wert. Aber auch die Textfortsetzung ist sehr gut. Objektiv besser

wäre wohl an dieser Stelle 3. ...d5 gewesen}

4. Nf3 exd4 5. Qxd4

{Weiss hat eigentlich einiges erreicht. 2 Figuren sind gut entwickelt. Die Dame drückt gegen

g7 und bindet den schwarzfeldrigen Läufer. Der schwarze Springer ist angegriffen und muss

entweder wegziehen oder verteidigt werden was dem Weissen mindestens einen weiteren

Entwicklungszug erlaubt. Schwarz hat außer dem Sg4 noch alle Figuren auf den

Ursprungsfeldern. Das Gambitziel "Entwicklungsvorteil" kann also als erreicht bebetrachtet

werden. Die Frage ist: "Reicht das als Kompensation für den Bauern?"}

d6

{Die Alternative 5. ...Sf6 erlaubt Weiss mehrere gute Möglichkeiten, z.B. 6. Lg5 Le7 7.

O-O-O Sc6 8. Da4 O-O 9. Tg1 mit Druck gegen die Rochadestellung oder 6. Lf4 und falls 6.

...Sc6 dann folgt 7. De3+ Le7 8. Tg1.}

6. Bg5 {Die nächste Figur wird mit Tempo entwickelt. Wobei man sich fragt warum Weiss nicht

im Angriffssinne Tg1 spielt. Sicher, die Eröffnung war vorgegeben, aber trotzdem... Welchen

Sinn sollte die Öffnung der g-Linie gehabt haben, wenn nicht den über diese Linie Druck

auszuüben? Eine gute Bewertungsfunktion sollte diese Variante zumindest in Betracht ziehen.

Allerdings ist das Positionsverständnis von Rechner A nicht ganz so schlecht. Der Zug Lg5

hatte durchaus seinen Sinn, denn er provoziert den nachfolgenden Zug 6. ...f6 was dem

schwarzen Springer ein mögliches Rückzugsfeld nimmt. Allerdings gerät dadurch der weisse

Aufbau auch etwas ins Stocken.}

f6 {fast schon erzwungen. Auch 6. ...Sc6 erzwingt nach dem Ausweichen der weissen Dame

diesen Zug und 6. Dd7 scheitert an 7. h3 mit den Folgen a) 7. ...Sf6 8. Lxf6 gxf6 9. Sd5

nebst Sxf6 und Angriff oder b) 7. ...f6 8. hxg4 fxg5 9. Txh7 Txh7 10. De4+

Mein Fazit nach den ersten Zügen: Die beiden wissen nicht wirklich was sie da spielen.

Allerdings behandelt der Weisse die Stellung in positioneller Hinsicht gar nicht schlecht.

Er scheint jedoch - soweit man dies nach den ersten Zügen sagen kann - nicht so wirklich der

Taktiker zu sein, denn es fehlt der Spielweise für so eine Gambitstellung etwas an Biss. Der

Schwarze musste bisher abgesehen vom 3. Zug eigentlich nur reagieren. Insofern kann man hier

noch gar keine richtige Beurteilung seiner Spielweise abgeben. Allerdings war dieser 3. Zug

bereits in positioneller Hinsicht ein Fehler so dass ich hier eher auf ein Brute-Force

Programm tippen würde.

Die Stellung insgesamt macht im Moment auf den ersten Blick den Eindruck als hätte Weiss

genug Kompensation für den Bauern. Gute Angriffsmöglichkeiten sind allerdings im Moment eher

nicht zu sehen. Allerdings ist die weisse Stellung im Moment positionell überlegen und

Schwarz wird sehr genau spielen müssen um wirklich ausgleichen zu können. Wahrscheinliche

Züge für den 7. Zug sind Lf4 oder Ld2. Im letzteren Falle könnte sollte Schwarz das Spiel

durch 7. ...Se5 8. Sxe5 fxe5 versuchen das Problem des deplazierten Springers zu lösen um

dann baldmöglichst seine Entwicklung voranzutreiben, wenngleich ich eher glaube dass er -

wie die meisten meiner Computer - Sc6 spielen wird. Auf jeden Fall wird er ziemliche

Schwierigkeiten haben, aus seiner bedrängten Stellung zu kommen wie meine folgende

Aktivschach-Partie gegen den Mephisto Dallas zeigt: 7. Ld2 Sc6 8. De4+ Le7 9. Tg1 g6 10. Sd5

f5 11. Dc4 Ld7 12. Lg2 Tc8 13. Lc3 Tf8 14. h3 Sf6 15. Sd2 Sxd5 16. Lxd5 Lf6 17. Sf3 Lxc3 18.

Dxc3 Df6 19. Db3 Sa5 20. De3+ Kd8 21. 0-0-0 Ta8 22. Dd2 und nach weiteren ca. 30 Zügen

endlich 1-0. Das Potential hier ungenaue Züge zu machen die dem Weissen Chancen einräumen

ist sehr groß wie der Mephisto Amsterdam erfahren musste: 7. Ld2 Sc6 8. De4+ Le7 9. Tg1 g6

10. Sd5 Sge5 11. 0-0-0 Lf5 12. Da4 Sxf3 13. exf3 Le6 14. Lc4 Lxd5 15. Lxd5 Dd7 16. Tde1 a6

17. Db3 Dc8 18. Te3 und Weiss bekommt Gewinnstellung

Auf jeden Fall dürfen wir uns auf ein spannendes Spiel freuen.
__________________
Gruss,
René
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