Liebe Schachfreunde
Match Nr. 65 auf Turnierstufe ist beendet. Der überraschende und knappe
Sieger ist "Underdog" Mephisto Chess Explorer. Hier noch die letzte Partie.
Dann mein Fazit zu diesem Match und wie üblich die 20 kommentierten
Partien zum Download.
Freundliche Grüsse
Kurt
[Event "Match Nr. 65"]
[Site "Zürich"]
[Date "2021.??.??"]
[Round "20"]
[White "Mephisto Chess Explorer"]
[Black "Novag Obsidian"]
[Result "0-1"]
[ECO "B15"]
[WhiteElo "1962"]
[BlackElo "2004"]
[Annotator "KUT (10,5-9,5)"]
[PlyCount "117"]
[EventDate "2021.??.??"]
1. e4 c6 {Match 120'/40 | 20. Partie: Schwarz (Obsidian) gewinnt | Endstand:
52,5% bzw. 10,5-9,5 (+8 =5 -7) Sieg für den Mephisto Chess Explorer | Gegen
die Caro-Kann Verteidigung (Flohr-Variante mit 5...exf6) erzielt Weiss (MCE)
keinen Vorteil aus der Eröffnung. Im Mittelspiel geht dann plötzlich nichts
mehr. Nach einem ungünstigen Königszug (15.Kh1) folgt einen Zug später ein
schlechter Läuferzug (16.Ld3) und bald ein taktischer Fehler (19.Df3?), der
eine Leichtfigur und die Partie verliert, weil Weiss einen Bauernangriff und
die fatale Schwäche der Grundreihe nicht berücksichtigt hat.} 2. d4 d5 {
***ENDE BUCH***} 3. Nc3 dxe4 4. Nxe4 {***ENDE BUCH***} Nf6 5. Nxf6+ exf6 {
Entschliesst sich zur soliden Flohr-Variante in der Caro-Kann Verteidigung.
Was Schwarz immer im Auge behalten muss ist, dass ein reines Bauernendspiel
für ihn verloren wäre, weil Weiss am Damenflügel und im Zentrum eine
Bauernmehrheit hat. Die schwarze Mehrheit am Königsflügel mit Doppelbauer
ist hingegen für das Bauernendspiel nutzlos, lässt sich damit doch kein
Freibauer erzwingen.} (5... gxf6 {ist die dynamische Nimzowitsch-Variante}) 6.
Nf3 (6. c3 {gilt als stärker}) 6... Bd6 7. c4 O-O {Schön am schwarzen Aufbau
ist, dass man keine Entwicklungsprobleme und freies Figurenspiel hat.} 8. Be2
Re8 9. O-O Bf5 10. Re1 Be4 {Hier steht der Läufer nicht besser als auf f5.
Vernünftiger hätte Schwarz mit 10...Sd7 etwas für seine Entwicklung getan.}
11. a3 {Gar nichts sprach gegen die Entwicklung Ld2, gefolgt von Lc3.} Nd7 12.
b3 Re6 {Eher würde man ...Sf8 mit der Idee Sf8-e6-f4 erwarten. Offenbar hat
der Novag Obsidian Angriffsgedanken gegen den weissen König.} 13. Nd2 {
Einleitungen zu Verwicklungen, die unseren Oldies viel abverlangen.} Qc7 {
Natürlich reizvoll mit Angriff auf den Punkt h2; trotzdem war 13...De7 mit
Druck auf der e-LInie zu bevorzugen.} (13... f5 {ist eine interessante
Möglichkeit und eine Falle, weil der schwarze Läufer nach} 14. f3 {? nicht
verloren geht, sondern Schwarz gewinnen kann mit} Bxh2+ 15. Kf1 Bc2 16. Qxc2
Qh4 17. Ne4 fxe4 18. fxe4 Bg3 19. Be3 Rxe4 20. Bf3 Rxe3 21. Rxe3 Qh1+ 22. Ke2
Qxa1 {und aus für Weiss}) 14. Nxe4 {Eine vorsichtige Natur hätte zu 14.g3
gegriffen.} Bxh2+ 15. Kh1 {?! Mit dem Königszug nach f1 hätte Weiss einen
leichten Vorteil behalten.} Rxe4 {Schwarz hat einen Bauern mehr, Weiss dafür
das starke Läuferpaar und die Bauernmehrheit, so dass Gleichgewicht herrscht.}
16. Bd3 {? Das ist deutlich zugunsten von Schwarz, was mit 16.Lg4 (verhindert .
..Th4) hätte vermieden werden können. Zwischen beiden Zügen liegt gemäss
SugaR AI ICCF 1.90 avx2 eine Bewertungsdifferenz von 1.60 zugunsten von
Schwarz.} Rh4 17. Re4 {Darauf hat sich der MCE wohl verlassen, ohne
abschätzen zu können, dass der Gegner mit zwei Fortsetzungen seinen Vorteil
festigen kann.} Rxe4 {Genügt ebenfalls noch für Vorteil.} (17... Bf4+ 18. Kg1
f5 19. Rxf4 Rxf4 20. Bxf4 Qxf4 21. g3 Qg5 {-/+ und Schwarz steht besser}) 18.
Bxe4 Re8 {[#]} 19. Qf3 {? Ein taktischer Fehler, der die Partie verliert. Den
Schaden in Grenzen gehalten hätte der Läuferzug auf dieses Feld.} f5 {
! Gut erkannt, dass der Läufer wegen Grundlinienmatt nicht nehmen darf.} 20.
Qxf5 {So muss also die Dame nach vorn, wird aber sofort attackiert.} g6 21. Qf3
f5 {! Und nun geht der angegriffene Läufer verloren.} 22. g3 (22. Qh3 {
funktioniert leider nicht} Rxe4 23. Qxh2 Re1+ 24. Qg1 Rxg1+ 25. Kxg1 {0-1})
22... fxe4 23. Qe3 {?! Noch ungünstiger als Df3-f4 oder Df3-g2.} (23. Qf4 Qxf4
24. Bxf4 e3 25. fxe3 Bxg3 26. Bxg3 Rxe3 {-/+}) (23. Qg2 Qb6 24. Be3 Qxb3 25.
Qh3 Nb6 26. Kxh2 Qxc4 {-+}) 23... Nf6 {Nun ist der Lh2 tabu wegen der Gabel
Sf6-g4.} 24. Qg5 Bxg3 25. fxg3 {Damentausch ist ebenso wenig das Gelbe vom Ei.}
Qd7 {! Das ist sehr stark. Schwarz hat bereits eine gewonnene Stellung und der
schwarze Springer ist für die weisse Dame tabu.} 26. Bb2 {Erst im 25. Zug
wird die letzte weisse Figur entwickelt.} (26. Qxf6 {wird bestraft mit} Qh3+
27. Kg1 Qxg3+ 28. Kh1 e3 {! und die unabwendbare Drohung Te8-e4-h4 ist
tödlich.}) 26... Qh3+ 27. Kg1 Nh5 28. Qh4 {Alles andere ist noch ungünstiger.
} Qxg3+ 29. Qxg3 Nxg3 {Mit zwei Mehrbauern und drei Freibauern kann Schwarz
fast im Schlaf gewinnen.} 30. d5 Nf5 31. Kf2 Rd8 32. Rd1 Kf7 33. Ke2 h5 {
? Weshalb die Sache unnötig kompliziert machen; einfach Schlagen mit c6xd5
war doch gut genug. Die Bewertungsunterschiede zwischen den beiden Zügen
(Textzug und cxd5) liegen bei mindestens vier Bauerneinheiten.} 34. dxc6 Rxd1
35. cxb7 {?! Besser, wenn auch langfristig noch immer hoffnungslos, war c6-c7.}
Rd8 {So hat Schwarz einen ganzen Turm mehr. Man könnte abbrechen, aber wie
gewöhnlich spielt Rolf Bühler bis zur Partieaufgabe.} 36. Be5 Nd4+ 37. Bxd4
Rb8 38. b4 Rxb7 39. Ke3 h4 40. Kxe4 h3 41. Bg1 Rd7 42. Ke3 Rd1 43. Kf2 Rd2+ 44.
Ke1 h2 45. Bxh2 Rxh2 46. c5 a6 47. Kd1 Ke6 48. Ke1 Kd5 49. Kd1 a5 50. bxa5 Kxc5
51. Kc1 Kb5 52. a6 Kxa6 53. Kd1 {Offenbar gibt der Mephisto Chess Explorer nur
auf, wenn er kurz vor dem Matt steht oder die Negativbilanz 6.00 oder mehr
erreicht hat.} g5 54. Ke1 Ka5 55. Kf1 g4 56. Kg1 g3 57. Kf1 Rh5 58. Kg1 Rg5 59.
Kg2 {***AUFGEGEBEN***} 0-1
Match 120'/40, Novag Obsidian (Elo 2004) - Mephisto Chess Explorer (Elo 1962)
Resultat: 9,5 : 10,5 für den MCE (+8 =5 -7)
Code:
Match Nr. 65 2021
1 Mephisto Chess Explorer 1962 +59 01½10011101½00½½11½0 10.5/20
2 Novag Obsidian 2004 -59 10½01100010½11½½00½1 9.5/20
Fazit
Mit seinem Plus von 42 Elo Punkten war ein Sieg des Novag Obsidian mit 11,0 : 9,0 (Gewinnquote 56%) zu erwarten. Das Programm hat mit seiner Niederlage von 9,5 : 10,5 (Gewinnquote 47,5%) diese Erwartungen indessen nicht erfüllen können. Seine Leistung von Elo 1945 gegenüber derjenigen seines Gegners von Elo 2021 sagt alles. Berücksichtigt man das relativ schlechte Eröffnungsbuch des Mephisto Chess Explorer, der oftmals Varianten auspackt, die bereits den Keim des Verlusts - wenn nicht schon gar die Niederlage - in sich tragen, ist der Sieg des selektiven Programms von Frans Morsch noch erstaunlicher. Nicht verhehlt werden darf der Umstand, dass dem Mephisto-Gerät einiges Glück beschert war, ist es doch dem Programm von David Kittinger oftmals nicht gelungen, Gewinnstellungen zu verwerten. Es ist gar vorgekommen, dass solche Partien vom Gegner gewonnen wurden. Interessant, dass der Mephisto Chess Explorer seinem Kontrahenten in taktischer Hinsicht nicht nachstand. Die grössten Schwächen beider Programme liegen a) am Ende ihrer Eröffnungsbücher, wo sie nur ausnahmsweise in der Lage sind, die Stellungen entsprechend den positionellen/strategischen Gegebenheiten sinnvoll zu behandeln, was dann vielfach zu seltsamen Stellungsbildern führt und b) insbesondere im Endspiel, wo als Folge fehlenden Basiswissen einfach (fast) alles noch passieren kann, sowie c) in allgemeinen Schwächen wie: mangelnde Königssicherheit, Verzögerung der Entwicklung, wenig Gefühl beim Auffinden der besten Plätze für die Figuren, zu materialistisches Handeln, Geringschätzung über Stärken und Schwächen eigener/fremder Freibauern. Berücksichtigt man dann noch die nur geringe Rechentiefe beider Programme, wird verständlich, weshalb in vielen Partien ein gegenseitiges Auf- und Ab vorherrscht und Siege wie Niederlagen nach dem Zufallsprinzip und dem Motto "der letzte Fehler entscheidet" passieren.